Pressespiegel

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Literatur-Kollegium Brandenburg e. V.

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Pressespiegel

Nachruf PNN zum Tod von Manfred Richter

MAZ, 1.7.2021

https://www.maz-online.de/Lokales/Brandenburg-Havel/Lehnin-Literaturkollegium-Brandenburg-laedt-zum-Wochenende-der-Literatur

Die Gewinnerin des Brandenburgischen Literaturpreises Heidi Ramlow in der PNN vom 9.6.2021.

https://www.pnn.de/kultur/brandenburgischer-literaturpreis-2021-heidi-ramlow-ausgezeichnet/27268774.html

Das Literaturkollegium Brandenburg schreibt den Literaturwettbewerb 2021 aus. https://www.pnn.de/kultur/brandenburgischer-literaturpreis-2021-prosa-aus-brandenburg-gesucht/26654044.html

https://www.pnn.de/kultur/brandenburgischer-literaturpreis-2021-prosa-aus-brandenburg-gesucht/26654044.html

Großartiger Aktikel über unsere Kollegin


Christa Kožik.

(Quelle: prominentimostblog.com)

MAZ Magazin, 28.03.2015


Sprengung kurz nach dem Baustart


Die Märkische Allgemeine schreibt über Christine Anlauffs im Februar erschienenen

Potsdam-Krimi "Der Fall Garnisonkirche" (be.bra-Verlag). In dem Roman geht es um einen Anschlag

auf den Neubau der Garnisonkirche, der sich im Sommer 2016 ereignet.

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BlickPunkt, 28.02.2015

Vom Stadtleben und vom Landleben

Literaturkollegium im Theater Frankfurt

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Märkische Allgemeine, 25.01.2015

Arzt aus Neuruppin holt Literaturpreis

Der Neuruppiner Arzt Thomas D. Föller ist für seine Kurzgeschichte "Nachkriegsversehrt" mit dem Brandenburgischen Literaturpreis 2015 ausgezeichnet worden. [...]

(Melanie Höhn)

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Potsdamer Neueste Nachrichten, 18.01.2014

Hölderlin-Ring für Christa Kozik und Herrmann Zschoche

Die Potsdamer Autorin Christa Kozik erhält zusammen mit dem Regisseur Hermann Zschoche den Hölderlin-Ring des Vereins Hölderlin-Nürtingen e. V. für ihren Film "Hälfte des Lebens" (DEFA 1985).

 Zum Artikel

Weitere Artikel hierüber bei filmportal.de (20.01.) und in der Stuttgarter Zeitung (24.01.)

Potsdamer Senioren-Journal 2013

"Omi, deine Ideale!"

Ingrid Arlt holt "federleicht" die Jugend zurück. Ein Porträt.

(Renate Wagner)

► Zum Artikel (PDF)

Märkische Allgemeine, 26.11.2012

Im lyrischen Klassenzimmer

Der Potsdamer Uwe Carow gewinnt den Brandenburgischen Lyrik-Literaturpreis

(Lothar Krone)


Potsdam - Uwe Carow hat den Brandenburgischen Lyrik-Literaturpreis gewonnnen. Wer am Samstag zur Preisvergabe des Literaturkollegiums Brandenburg in den Treffpunkt Freizeit aufbrach, ließ sich auf eine Zeitreise ein. Das sanierte ehemalige DDR-Pionierhaus, an den Historie spiegelnden Gestaden des Heiligen Sees, lässt das vielgliedrige Gebäude wie eine verwunschene Ansammlung von Räumen erscheinen, in denen sich die unterschiedlichsten Merkwürdigkeiten abspielen. Hatte man sich in diesem Labyrinth bis in den Südflügel durchgefragt, verbarg sich hinter der avisierten Tür ein Raum mit dem typischen Charme eines eilends umgeräumten Klassenzimmers. Dessen niedrige Decke und die von außen mit Drahtgittern geschützte Fensterfront signalisierten, dass es sich bei den hier versammelten Menschen um eine Gruppe von spinnerten Sonderlingen handeln musste.


Gabriele Thiere vom Literaturkollegium beklagte dann auch in ihrer Eröffnungsrede, dass es die „Lyrik nicht immer leicht habe“ und deshalb auch als „schwer verkäuflich“ bezeichnet wird. Trost angesichts solcher gesellschaftlichen Ignoranz spendete Flötistin Susanne Köszhegy, die diese Veranstaltung mit kurzen Interpretationen einiger Musikstücke von Johann Sebastian Bach und Jacob van Eyck rahmte.


Den Preisträger dieser regionalen lyrischen Bestandsaufnahme hatte im Vorfeld eine fünfköpfige Jury aus 35 anonymen Einsendern erwählt, die sich zuvor mit Gedichten zum Thema „Ungesehen, ungehört, ungesagt“ um den mit 500 Euro dotierten Preis beworben hatten. Die Laudation auf Uwe Carow hielt traditionell die im Vorjahr Ausgezeichnete: Hanna Haupt beschrieb Carows Lyrik als „Das an der Verzweiflung Verzweifelnde“ und meinte „einen Menschen hinter diesen Worten atmen zu hören“.


Der so Gelobte las anschließend mehrere seiner Gedichte und begleitete dabei seinen verinnerlichten Vortrag mit sehr viel Gestik, als müsse er die Worte einzeln ins Publikum schleudern. „Weggekippt Aufgesetzt/ An den Schrank/ Geschlagen die Sprache/ Verloren/ An letzte Zeichen“ deklamierte Carow stakkato-artig seine oft die Gewalt thematisierende Lyrik und beeindruckte damit nicht nur die Juroren, sondern auch das sichtlich berührte Publikum. Wie bereits in den Vorjahren praktiziert, lasen dann die Autoren die von der Jury in die engere Wahl gezogen worden waren. Auch hier dominierten die Moll-Töne und ihre lyrischen Begleiter: Einsamkeit, Krankheit und Todesahnung.


Dieser weihevolle Ernst löste sich glücklicherweise nachdem die letzten Flötentöne verklungen waren in munterer Gesprächslust auf. Und als das Büfett mit Getränken und Knabbereien eröffnet war, zog sogar ein Hauch von Alltäglichkeit durch das lyrische Klassenzimmer.


Potsdamer Neueste Nachrichten, 23.07.2012

Das Leben noch einmal retour

Potsdamer Autorin Ingrid Arlt stellt Roman vor

(Gerold Paul)


In der Jugend hat wohl jeder Ideale, aber im Alter? Sind sie da nicht geschrumpft, demaskiert, ihrer illusionären Kräfte verlustig, was dem reifen Menschen meist nur Frust beschert? Bei der Potsdamer Autorin Ingrid Arlt scheint das nicht so zu sein. Die Informatikerin hat zwar erst jenseits ihres Berufslebens mit dem Romanschreiben begonnen. Doch wovon handelt ihr Erstling? Von den eigenen Idealen, von ihrer Jugend in der DDR, von ihrem privaten Lebensgeflecht, darin sie sich unter drei Männern entscheiden musste, vom konkurrenzbelasteten Verhältnis zu ihrer Schwester, der sie damals und vorübergehend den Liebsten stahl, um ihn doch wieder „gehen“ zu lassen. Letztlich von ihrer halbwüchsigen Enkelin. Dank ihres fragenden Kummers kommt ja das gelebte Leben der Oma noch einmal retour, um ganz neu bewertet zu werden.


Gelegenheit dazu war am Freitagabend bei einer gut besuchten, aber nicht unbedingt geschickten Buchpräsentation im Café 11-Line, einer Veranstaltung des Literatur-Kollegiums Brandenburg. An den Wänden „pointireale“ Frauendarstellungen des Berliner Grafikers MüCke32, die ob mangelnden Kunstsinns ziemlich platt und dekorativ wirkten. Das Buch „Omi, deine Ideale“ zerfällt in zwei Teile. Zuerst schildert die Autorin in einem manchmal recht langatmigen Stil die Konstellationen von damals. Sie berichtet von den drei Männern, mit denen sie es zu tun hatte, vom langen Schweigen ihrer gekränkten Schwester, vom Leben in den Sechzigern, wobei sie auch vor umständlichen Milieubeschreibungen nicht zurückschreckt.


Witz und Pfiff sind im durchlaufenden Text, aber auch lang geatmete Stellen. Im deskriptiven Stil beschreibt sie das Leben der Protagonistin im tiefsten Sachsen, ihr selbst zwar im Ansatz ähnlich, aber nicht etwa identisch: „Ich bin nicht Ina!“ Nun gut. Ingrid Arlt nutzt diesen Text, um sich mit ihren Jugend- und Lebensidealen auseinanderzusetzen. Da ist zum Beispiel Bodo, ihr Compagnon beim Konzertieren. Er rümpfte die Nase, wenn sie, die Lyrikliebhaberin, sich mit den „Revoluzzern“ des Lyrik-Klubs trifft. Auch Anne hat andere Vorstellungen vom Leben, besonders wenn die eigene Schwester zur erbitterten Konkurrentin wird.


Vielleicht sucht Ina deshalb nach einem „ehrlichen Lebensglück“, welches sie, zumindest im Rahmen der 11-Line-Lesung, nicht fand. Ihre Lieblingslyrik, Heine, Goethe, Kunze, ist in den Text hineingestreut. Teil zwei gibt den Perspektivwechsel und damit die Gegenwart. Hier ist es die Enkelin Karolin, die mit Liebeskummer zur Omi kommt. Omi tröstet, Omi liest ihr Gedichte vor, Omi erzählt nun aus ihrem Leben, auch sie holte sich einstmals Rat am Grab ihrer Großeltern. In lockere Dialogform gepasst wird plötzlich alles lebendig und spannend, so wie es sein soll.


Es gehört ja zu den großen Lebensgeheimnissen, dass die heranwachsende Generation eher nach den Erfahrungen der Alten fragt, die Elterngeneration wird fast immer übersprungen und ignoriert. Karolin und Ina stellen auf einmal fest, trotz der „Familienbande“ einander überhaupt nicht zu kennen! Das dürfte die Regel sein. Schade, dass darüber, und wie Enkel und Omis zueinander passen, kein Gespräch zustande kommen wollte, über die Fremdheit in der eigenen Sippe. Das hätte man doch ein wenig vorbereiten können. Ingrid Arlt hat ihr Buch „allen noch kommenden Enkeltöchtern“ gewidmet, und allen, die Gedichte mögen. Arme Enkelsöhne…


Ingrid Arlt: „Omi, deine Ideale“, Wagner Verlag, 120 Seiten; 9,80 Euro

Märkische Oderzeitung, 21. Februar 2012

Viel Lob an die Autoren


Angermünde (mmb) Etwa zwanzig Autorinnen und Autoren aus der gesamten Uckermark sowie aus dem nördlichen Barnim trafen sich am Sonnabend im Ehm-Welk- und Heimatmuseum Angermünde. Angeleitet von dem Schriftsteller Manfred Richter, der Lyrikerin Elke Hübener-Lipkau sowie den Autoren der Literaturgesellschaft Gerlind Mittelstädt und René Schmidt nutzten sie den Wintertag, um die eigenen Texte vorzustellen und an Formulierungen zu feilen.

Foto: (c) MOZ/Oliver Voigt

Arbeitsreicher Sonnabend: In kleinen Gruppen arbeiteten die Teilnehmer derSchreibwerkstatt an eigenen Texten und bekamen manchen Tipp von Fachleuten.


Die größte Gruppe fand sich bei Manfred Richter ein. Hier wurden Lebenserinnerungen, Märchen und andere Prosatexte zu Gehör gebracht. Unterstützt von dem erfahrenen Erzähler tauschten sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer über Gestaltungselemente aus und gaben sich gegenseitig Hinweise, wie die Fabel noch besser zum Tragen kommen oder noch mehr Spannung erzeugt werden kann.


Besonders emotional und intensiv wurde in der Gruppe der Lyriker gearbeitet. Die überwiegend männlichen Autoren feilten an jedem Wort, überprüften jedes Detail. Man darf gespannt sein, was sich hiervon in den nächsten Lesungen und Anthologien wiederfindet.


Die dritte Gruppe hatte sich außer dem Vorhaben, an Texten zu arbeiten, auch das Ziel gesetzt, Heimatliteratur näher unter die Lupe zu nehmen. Dieses Thema wird sicher weiterhin eine Rolle spielen, wenn sich die Autorinnen und Autoren der Uckermärkischen Literaturgesellschaft und ihre Gäste im Oktober mit Ehm Welks "Orplid" beschäftigen und in einer Werkstatt eigene Texte dazu entwerfen werden. Auch in dieser Gruppe wurde an den mitgebrachten Manuskripten gearbeitet. Die Themen reichten von der Liebesgeschichte der jüngsten Teilnehmerin über eine Ortsbeschreibung zur Werbung von Touristen bis hin zur Gestaltung eines Fachbuchs.


In der Abschlussrunde äußerten alle ihre Zufriedenheit mit dem Verlauf der Werkstatt. Die Schreibenden hoben hervor, Anregungen und neue Ideen für ihre schriftstellerische Arbeit erhalten zu haben.


Zum Gelingen der Werkstatt trugen auch die Unterstützung durch die Mitarbeiter des Ehm-Welk- und Heimatmuseums sowie die Mittagsversorgung durch das Hotel Weiss bei. Der besondere Dank der Mitglieder der Uckermärkischen Literaturgesellschaft gehört der Bürgerstiftung der Sparkasse Uckermark, die durch ihre finanzielle Hilfe anspruchsvolle Werkstätten und Lesungen ermöglicht.

Foto: Andreas Klaer

Potsdamer Neueste Nachrichten, 20.01.2012

Der schwere Schatten Vergangenheit

Das Schweigen über ein unfassbares Verbrechen

Reglindis Rauca liest aus ihrem Debütroman

(Dirk Becker)


Ihre Kollegen hatten großen Spaß gehabt, als sie den eigenen Namen bei Google eingaben und die unterschiedlichen Treffer auswerteten. Wenige Tage danach saß Reglindis Rauca abends daheim vor ihrem Computer. Alle Arbeiten waren getan, sie suchte ein wenig Entspannung. Also gab sie ihren Nachnamen in die Suchmaschine ein. Dass sie als zweiten Treffer den Name ihres Großvaters lesen konnte, irritierte Reglindis Rauca schon. Und dann ausgerechnet auf einer englischsprachigen Website. Gleichzeitig war da aber auch das Gefühl, endlich mehr über diesen Mann zu erfahren, um den in ihrer Familie ein solches Geheimnis gemacht wurde.


Sie las den Namen Helmut Albert Rauca, auch den Ortsnamen Kaunas, der in ihrer Kindheit gelegentlich am elterlichen Küchentisch gefallen war, ohne dass ihr jemanden sagen wollte, was denn der Großvater mit diesem Ort in Litauen zu tun gehabt hatte. Und dann las Reglindis Rauca diese Zahl und verstand nicht. Sie las diese Zahl immer wieder, zählte immer wieder die vier Nullen, konnte diese Zahl aber nicht mit den Worten davor in Verbindung bringen. Auch nicht mit ihrem Großvater. Doch Fakten in ihrer kühlen Präsenz sind gnadenlos und als sie endlich in Reglindis Raucas Bewusstsein gedrungen waren, brach sie zusammen. Ihr Großvater Helmut Albert Rauca, geboren am 3. November 1908 im sächsischen Vogtlandkreis, war als SS-Hauptscharführer des Einsatzkommandos 3 im Jahr 1941 an der Ermordung von über 10 000 litauischen Juden beteiligt.


Knapp neun Jahre liegt dieser Abend am heimischen Computer nun schon zurück, doch wenn Reglindis Rauca heute darüber spricht, wühlt sie dieses Erlebnis noch immer auf. Und es gibt Momente, da glaubt man, dass sie wieder mit den Tränen kämpfen muss.


„Vuchelbeerbaamland“ heißt der Debütroman von Reglindis Rauca. „Vuchelbeerbaamland“, liest man nur diesen Titel, könnte man glauben, hier wird Märchenhaftes erzählt. Doch dieses Buch hat nichts Romantisch-Träumerisches. In diesem Roman hat Reglindis Rauca, die seit September in Potsdam lebt, die Geschichte ihrer Kindheit und Jugend im sächsischen Plauen, das Geheimnis ihres Großvaters und das Schweigen in ihrer Familie verarbeitet. Am heutigen Freitag stellt Reglindis Rauca „Vuchelbeerbaamland“ in der Reihe „Dichterlese“ im Café „11-Line“ vor.


Aus einem alten, sorbischen Volkslied stammt dieses „Vuchelbeerbaamland“. Vogelbeerbaumland, so die Übersetzung der Mundart. Sorbisch, das ist der Dialekt, den die Mutter in diesem Roman spricht. Ein Symbol für eine provinzielle Heimat, sagt Reglindis Rauca. Nicht örtlich, sondern geistig. Und dann ist da Maria, das Mädchen, Reglindis Raucas Alter Ego, mit so roten Haaren wie die Früchte an dem Vogelbeerbaum.


Reglindis Rauca ist in Plauen, der größten Stadt im Vogtland aufgewachsen. Ein zartes, ein sensibles Kind mit roten Haaren. Sie hat in der Schule viel Spott ertragen müssen. Wegen ihrer Haarfarbe, ihrer Zurückhaltung, ihrer musischen Interessen. Zuhause erlebte sie eine abgeschottete, für die damaligen DDR-Verhältnisse so untypische Welt. Die Mutter war Hausfrau, der Vater Alleinverdiener, der Glaube spielte eine große Rolle. Und dann war da noch der Großvater, der im fernen Kanada lebte. Ein Mann, den Reglindis Rauca nie gesehen hatte, von dem gelegentlich Briefe und Dias von seinen Reisen durch die ganze Welt das stille Plauen erreichten. Ein Mann, den sich das Mädchen Reglindis in ihrer Fantasie zu etwas Übergroßen, Märchenhaften gemacht hatte, der, so war es ihr als Kind erzählt worden, nach Kanada gegangen war, weil es dort viel größere Tannen gab.


Als Reglindis Rauca 15 Jahre alt war, im Jahr 1982, rief der Vater die Familie an den großen Küchentisch und sagte „Kinder, es ist etwas mit Großvater passiert“. Reglindis Rauca dachte an Tod, dass der Großvater gestorben sei. Doch der Vater erzählte nur, dass der Großvater von Kanada in die Bundesrepublik ausgeliefert werden soll, weil da eine Anklage gegen ihn vorliege, irgendwas, das mit dem Krieg zu tun habe. Nachfragen duldete der Vater nicht. Er sagte nur: „Es wird nicht mehr darüber geredet!“


Es wurde auch nicht darüber geredet, als der Großvater im Jahr darauf in die BRD ausgeliefert und ins Gefängnis gesteckt wurde. Auch nicht, als er im Oktober 1983, kurz vor Prozessbeginn starb. Offizielle Todesursache: Krebs. Im Grunde wird in ihrer Familie bis heute nicht darüber geredet, liegt die Vergangenheit von Helmut Albert Rauca wie ein dunkler, schwerer Schatten auf allem. Ein Schatten, der alle zum Schweigen verdammt. Nur nicht Reglindis Rauca.


An Neujahr 2002, ein Jahr, bevor sie die ganze Wahrheit über ihren Großvater erfuhr, beschloss Reglindis Rauca, dass sie wieder schreiben will. Als Kind hatte sie das schon getan, kleine Gedichte und Geschichten. Doch dann das Abitur, später das Schauspielstudium in Berlin und die Arbeiten an verschiedenen Theaterhäusern hatten sie zu sehr in Anspruch genommen. Doch jetzt setzte sie sich an den Schreibtisch und schrieb. Reglindis Rauca schrieb, weil sie schreiben musste. All das, was sie in der Kindheit erlebt hatte, die Hänseleien in der Schule, das Schweigen in der Familie, hatte viel tiefere Spuren in ihr hinterlassen, als ihr bis dahin bewusst gewesen war. Sie schrieb und je mehr sie schrieb, umso stärker kamen die Erinnerungen zurück, auch die an den Großvater. Doch die Familie schwieg weiterhin. Auch nachdem Reglindis Rauca im Internet die Geschichte ihres Großvaters gelesen hatte, der in Kaunas die Juden auswählte, die als „überflüssig“ galten und erschossen wurden. Darunter auch über 4000 Kinder.


Reglindis Rauca hat diese Geschichte in „Vuchelbeerbaamland“ aufgenommen. Im Jahr 2008 erschien dieser Roman, im gleichen Jahr wurde ihr dafür der Literaturförderpreis der Stadt Düsseldorf verliehen. Im gleichen Jahr erhielt sie einen Brief von ihrem Vater, mit Schreibmaschine geschrieben, nur vier Zeilen lang, darin der Satz: „Solange Du noch stolz auf dieses Buch bist, brauchst Du Dich bei uns nicht mehr blicken zu lassen.“


Seit diesen Zeilen hat Reglindis Rauca ihre Eltern nicht mehr gesehen. Mittlerweile gibt es einen sporadischen Briefkontakt, Weihnachten hat sie mit ihrer Mutter telefoniert. Reglindis Rauca, die als freie Autorin tätig ist und auch Seminare für kreatives Schreiben für Schulklassen zu diesem Thema anbietet, hat ein Tabu gebrochen. Sie wollte nicht schweigen. „Ich habe keine Schuld an den Verbrechen meines Großvaters. Aber ich habe eine Verpflichtung“, sagt sie. Ob ihre Offenheit in ihrer Familie doch noch etwas bewirkt, da ist sie eher zurückhaltend. Zwar gibt es wieder den zaghaften Kontakt zu ihren Eltern. Bei ihrem Telefonat während der Weihnachtstage sagte ihre Mutter, dass, was die Vergangenheit des Großvaters betrifft, jeder wohl anders damit umgehe.


Potsdamer Neuesten Nachrichten, 19.12.2011

Ein Csardas ohne Geige

Milenko Goranovic las im Café 11-line

(Andrea Schneider)


Der ungarische Csardas ist impulsiv und verwirrend, dramatisch und fordernd. Er springt seinem Spieler förmlich von den Saiten und fordert der Geige ein großes Durchhaltevermögen ab. Was aber geschieht mit einem Csardas-spieler, wenn er sein Instrument verliert? Dann kann es passieren, dass er anfängt zu erzählen. Wie so ein Erzähl-theater aussieht, ließ am Freitag der Träger des Brandenburgischen Literaturpreises, Milenko Goranovic, hören. Er ließ im Café 11-Line die Geschichte einer Liebe wieder aufleben, die im Mai 1993 als Foto um die Welt ging.


Das Foto hatte ein Kriegskorrespondent der amerikanischen „Time“ gemacht, der mit ansah, wie zwei junge Menschen dem Krieg trotzten und dabei ums Leben kamen. Beinahe vier Jahre war Sarajevo während des Bosnienkrieges belagert. Vier Jahre, in denen fast 10 000 Menschen aller Ethnien getötet und 50 000 schwer verletzt wurden. Vier Jahre, in denen Nachbarn gegen Nachbarn kämpften.


Aufgeregt, schnell und immer wieder die Richtung wechselnd spricht Milenko Goranovic von diesen Tagen, von zwei Menschen, die sich lieben und die bis zum 19. Mai 1993 in der Stadt verharren – „wie kindisch“. Neun Jahre zuvor, gerade 16-jährig, hatten sich die beiden ineinander verliebt – sie Muslima, er Serbe und Christ. Was viele Jahre kein Problem war, sollte 1992 plötzlich Romeo und Julia aus ihnen machen. Ihre Liebe wurde zu etwas Verbotenem, Gefährlichem, das Schicksal zog sein Band um sie.


Doch nicht zu schnell, erst eine andere Geschichte! Milenko Goranovic entwickelt die Figur des Alten, der dem Erzähltheater den Titel gibt: „Csardas für den Alten“. Der Alte, als junger Mann aus dem Krieg desertiert, ist der Vater des Mädchens, Admira ihr Name. Er läuft und läuft, fällt schließlich, erwacht und findet sich in einem Zigeunerlager wieder, umgeben von den Klängen des Csardas. Die Musik wird sein Leben begleiten. Später wird er immer wieder ins Nationaltheater Sarajevos gehen und dem Csardasspieler lauschen, von dem er noch nicht weiß, dass dieser einmal seine Geschichte erzählen wird.


Seine Geschichte und die von Admira und Bosko, die sich lieben und die die Stadt Sarajevo schließlich doch verlassen wollen. Die einem Menschen vertrauen, der, glaubt man dem Erzähler, von Grund auf böse scheint, der aber Boskos Mutter das Leben rettet, weil sie, die ehemalige Lehrerin, immer an ihn geglaubt hat.


Milenko Goranovic hält inne. Es ist soweit. 19. Mai, 1993, 17 Uhr, der Himmel strahlend blau, eine Brücke in Sarajewo. Gerade noch hatte es schweren Beschuss gegeben, doch jetzt ist es still. Ein Zeichen und die beiden jungen Menschen laufen Hand in Hand über die Brücke, die sie in die Freiheit führen soll, lächeln – „wie kindisch“. Dann fallen Schüsse. Bosko ist sofort tot, Admira schwer verletzt. Sie könnte noch fliehen! Doch dann fällt sie, kriecht zu ihrem Freund, bedeckt, umschlingt ihn mit ihrem Körper und bleibt so liegen, bis auch sie verblutet. Acht Tage werden die beiden Liebenden so liegen. Das Bild, für die Zuhörenden auf eine Leinwand projiziert, brennt sich ein. Der Erzähler schweigt. Er hat seine Aufgabe erfüllt, hat einen Csardas ohne Geige gespielt.

Märkische Allgemeine, 19.12.2011 (Lokalausgabe Ostprignitz-Ruppin)

Kurzweil mit Lyrik und Prosa

Das Literatur-Kollegium stellt sich vor

(Jürgen Rammelt)


RHEINSBERG - „Vielleicht liegt es am nasskalten Wetter – oder an der Zeit.“ Ulrike Liedtke stand vor einem Rätsel. Die Chefin der Bundes- und Landesmusikakademie hatte drei Tage lang mit neun Mitgliedern des Brandenburgischen Literatur-Kollegiums alte Bekannte in ihrem Haus. Bei einer Lesung im Foyer des Schlosstheaters stellten die Autoren gestern das Ergebnis ihrer Arbeitsphase in Rheinsberg vor. Doch leider waren nur wenige Zuhörer gekommen.


Dennoch war es ein amüsanter Vormittag, denn die vorgetragenen Texte erzählten aus dem Leben oder regten in gereimter Form zum Nachdenken an. „Lyrik kommt von Lyra, einem Instrument, das wir bereits von den alten Griechen kennen“, sagte Günther Hornberger, ein Berliner Liedermacher, der die Werkstatt geleitet hatte. Er gab mit seinem Gesang zur Gitarre eine Hörprobe seines Könnens. Besonders das Lied „Sag Hallo zum Büro“, in dem er beschreibt, wie es wohl in einigen Tippstuben zugeht, traf den Nerv der Zuhörer.


Eröffnet worden war die Lesung von Rolf Böhme, einem pensionierten Sportwissenschaftler. Der 83-Jährige führte mit dem Gedicht „Dresden“ in das berühmte Grüne Gewölbe, die Schatzkammer Augusts des Starken. Manfred Richter erzählte, wie er mit einem Freund und zwei jungen Frauen auf dem Potsdamer Ruinenberg nackt in einem Wasserspeicherbecken badete, aus dem die vier fast nicht mehr herausgekommen wären.


Iris Zimpel wurde als begabte Lyrikern vorgestellt. Mit ihrem Gedicht „Wintermorgen“ wurden die Zuhörer schnell an die Gegenwart erinnert. Aber auch die in Rheinsberg entstandenen Verse unter dem Titel „Mensch ärgere dich nicht“ belohnte das Publikum mit Beifall. Gabriele Thiere hat sich ebenfalls der Lyrik verschrieben. Ihre Gedichte „Zeitsparkonto“, „Narren auf dem Holzweg“ und „Wellenbrecher“ zeugten von einem breiten Spektrum und einem gekonnten Spiel mit Worten. Elke Hübner-Lipkau fotografiert, modelliert mit Keramik und ist auch eine Meisterin der Wortspiele, wie sie in ihrem Gedicht „Schlagworte“ bewies.


Eine echte Schmonzette präsentiert Ute Apitz zum Abschluss des kurzweiligen Vormittagsprogramms. Sich selbst auf der Gitarre begleitend, singt die Autorin von einer Begegnung mit zwei fremden Männern in einer Kneipe. Es wird nett geplaudert, geraucht, getrunken und getanzt. Erst am frühen Morgen endet die Nacht – zu Hause, wo ihr Mann im Ehebett liegt und selig schläft. Die Überraschung folgt am Morgen danach beim Blick in die Zeitung: Dort sieht sie ein Bild von ihren beiden nächtlichen Begleitern. Sie haben gerade geheiratet.

 

Märkische Allgemeine, 05.12.2011

Eine Katze riecht die Wahrheit

Buchvorstellung mit Christa Kozik

(Christina Bauermeister)


Nach der Wiedervereinigung hatten ostdeutsche Verlage fast ihr gesamtes Sortiment auf den Müll gekippt, aus Angst vor Absatzproblemen. Der Eulenspiegel-Verlag hat das Buch jetzt erneut mit 8000 Exemplaren verlegt. Am Freitag las die Babelsbergerin vor mehr als 20 Zuhörern im „Internationalen Buch“ aus ihrem einst vergessenen Werk vor. „Ich habe dieses Buch vor vielen Jahren geschrieben, in einem Land, das es heute nicht mehr gibt“, beginnt die 70-Jährige die Lesung. In „Kicki und der König“ geht es Kozik um die Suche nach der Wahrheit: Das Regieren von Maien-Land macht König Karl nicht gerade glücklich, und auch sein Volk ist unzufrieden. Wie gut, dass er sich im dunklen Kino fast auf die Katze Kicki setzt, die ihn mit ihrer Wundergabe, die Wahrheit riechen zu können, beim Regieren unterstützt. Als erstes empfiehlt sie ihm, aus dem Palast auszuziehen und auf seine teure Dienerschaft zu verzichten. Mit Argwohn betrachtet man am Hof den Neuzugang im königlichen Rat.

Doch Kicki überzeugt die Minister schnell von ihrem Können: Unbemerkt schleicht sie sich auf Märkte, Bahnhöfe oder in Gefängnisse und berichtet dem König, was das Volk denkt. Und zum Schluss stellt die sprechende und biertrinkende Katze sogar die Evolutionstheorie völlig auf den Kopf. Nur Männer, davon ist sie überzeugt, stammen von den Affen ab. Frauen hingegen, man ahnt es schon, waren ursprünglich alle mal Katzen. Um das dem König zu beweisen, geht Kicki auf’s Ganze.

Mit „Kicki und der König“ schreibt Christa Kozik die Geschichte von „Moritz in der Litfaßsäule“ fort. Denn schon in dieser Geschichte kam die sprechende Katze der Hauptfigur zur Hilfe. Für sie ist der Katzenroman auch ein Aufklärungsbuch: „Ich habe mir schon im Studium angewöhnt, die Dinge auf eine märchenhafte Weise zu erzählen. Mit Heiterkeit wirkt die Kritik am Staat weit stärker als jede ernste Aussage“, sagt sie. Für das Buch habe sie jahrelang „Katzologie“ studiert. Dabei hatte die Schriftstellerin die beste Inspiration schon zu Hause in der Wohnung sitzen: Kinder hatten sie vor Jahren gebeten, eine Straßenkatze aufzunehmen. „Aber Kicki“ soll sie heißen, forderten die Kinder. Christa Kozik erfüllte ihnen den Wunsch. Die zahme Katze wurde stolze 15 Jahre alt.

Märkische Oderzeitung, 22.10.2011

Heiter-bissige Gedankenspiele

Eindrucksvolle Lesung Potsdamer Autoren in Angermünde


Angermünde (kpt) "Literatur unter der Leselampe" heißt eine Reihe, die die Uckermär­kische Literaturgesellschaft in Kooperation mit dem Ehm Welk-und Heimatmuseum veranstal­tet. Am Donnerstagabend be­leuchtete die Leselampe „ganz besondere Texte von besonde­ren Menschen bei besonderer Musik", wie Museumsleiterin Julia Wallestin es ausdrückte, denn die Lesung von den Gäs­ten aus Potsdam wurde musika­lisch umrahmt vorn Jazzpianis­ten Sebastian Kommerell.


Die Vorsitzende der Ucker­märkischen Literaturgesell­schaft, Marlies Markgraf-Beise, und Gastgeberin Julia Wallen­tin waren über die geringe Zu­schauerresonanz traurig. Doch die Traurigkeit wandelte sich im Laufe des Abends schnell in Bedauern für diejenigen, die diese Fülle an literarischer Viel­falt und Ausdrucksweise ver­passt hatten.


Den Auftakt des Potsdamer Quartetts bildete Elke Hübener­Lipkau. Die studierte Soziologin lebt mit Begeisterung auf dem Lande, was sich auch in ihren lyrischen Beschreibungen des Herbstes ausdrückt. Ihr folgte Michael Andreas Peters. Der erst seit kurzem mit dem Literatur­kolleg verbundene Bergbautech­nologe und Musikwissenschaft­ler schreibt, „seit er einen Stift halten kann" und hatte sein Pro­gramm für diesen Abend kurz­fristig umgestellt. Unmittelbar von einer Reise an die Ostsee zurückgekehrt, flossen in die vorgetragenen Stenogramme die maritimen Eindrücke, ver­knüpft mit poetischen Betrach­tungen über das Leben und die Liebe. Auch aus seiner Arbeit mit psychisch gestörten Kindern reflektiert er Erfahrungen, die sich in seinen Figuren behut­sam widerspiegeln.


Heiterkeit verbreitete der vor­malige Vorsitzende des Bran­denburger Literaturkolleg, Peter beim Graben. Der promovierte Physiker und Neurowissen­schaftler verlegt Gesellschafts­kritik und Schwächen der Spe­zies Mensch gern in das Reich der Tierfabeln. Zusätzlich gab er, entsprechend seiner aka­demischen Herkunft, eine „wis­senschaftliche Geschichte" zum Besten, in der er den Kampf des Mathematikers Möbius mit ei­nem Potsdamer Stadtplan auf dem Weg zum Topographen­kongress köstlich amüsant be­schrieb.


Somit hatte Renate [Smolarek] ein wenig Bedenken, seine Nachfolge im Vorleserreigen an­zutreten. Doch damit stapelte die Philosophin tief, denn auch ihre bissigen Seitenhiebe auf Po­litiker oder die scharfsinnige Be­obachtung von Parallelwelten lieferten den gelungenen Ein­stieg in sich anschließende Dis­kussionen und Gespräche mit dem Publikum.


Märkische Allgemeine Zeitung, 10.10.2011

"Namen & Nachrichten"

Zur Verleihung des Brandenburgischen Literaturpreises (08.10.2011)


Für ihre Erzählung „Bruno" über einen Buchhalter, der in die Arbeits- und Bedeu­tungslosigkeit abrutscht, hat die Berliner Autorin Hanna Haupt  den diesjährigen Brandenburgi­schen Literaturpreis gewon­nen.


Vorjahressieger Dieter Lenz hob die „gesellschaftli­che und politische Rele­vanz" der „schnörkellosen" Geschichte hervor. Seit 2006 vergibt das Literatur-Kolle­gium Brandenburg e.V. den mit 500 Eure dotierten Preis, In diesem Jahr hatten sich 85 Autoren mit dem vorgege­benen Thema „Es gibt kein fremdes Leid" auseinander gesetzt.


Hanna Haupt er­zählt vom Leben eines Hartz-IV-Betroffenen, der sich vom Schauspieler Bruno Hilfe erhofft: Denn Bruno soll das Schicksal des Ex-Buchhalters auf die Bühne bringen und für die Öffentlichkeit sichtbar ma­chen. „Mich hat die Realität inspiriert", sagte Hanna Haupt am Sonnabend im Domizil des Literatur-Kollegiums in der Charlotten­straße 31.


Einen Anerkennungspreis erhielt der Dramatiker und Schauspieler Mi­lenko Goranovic für seine im Ex-Jugo­slawien der 1990er-Jahre angesiedelte Romeo-und-Ju­lia-Geschichte. In 23 Szenen umreißt der gebürtige Bos­nier, der bei der Preisverlei­hung nicht anwesend war, die unmögliche Liebe zwi­schen einer Mullima und einem Christen, die letztlich in die Vernichtung führt. RN

Potsdamer Neueste Nachrichten, 18.07.2011

"Absurdes mit Akribie"

Lesung mit Limericks und Fabeln im "11-Line"

(Daniel Flügel)


„Limericks versuchen mit viel Ironie / Kurioses und Absurdes mit Akribie / in Reime zu bringen / was vor allen Dingen / der Pointe gereicht zur Perfidie.“ Ein schöner Kunstgriff, mit dem hier der Potsdamer Autor Manfred Friedrich Kolb einen Limerick bastelt, der sich exemplarisch selbst beschreibt und auf dem Handzettel wie eine Überschrift steht. Doch nicht nur Freunde dieser alten, nach der gleichnamigen irischen Stadt benannten Reimform kamen am Freitagabend im Café „11-Line“ reichlich auf ihre Kosten. Große Gegenliebe fanden auch die vielen witzig lakonischen Fabeln, verfasst und mit vergnügten Blicken vorgetragen von Peter beim Graben, dem Vorsitzenden des Literaturkollegiums Brandenburg.


Wenngleich diese beiden sich formal ergänzenden und in ihrer klugen humorigen Kurzweil vereinenden Textgattungen die Lesung bestimmen, ist der Abend doch ebenso sehr auch dem Gedenken des vor gut einem Monat verstorbenen Schriftstellers und Vereinsmitgliedes Walter Flegel gewidmet. Kolb ist es, der eingangs einige unveröffentlichte Gedichte Flegels aus dessen Nachlass zusammen mit seinen eigenen vorträgt und sich noch öfter an seinen Freund erinnert, an die gemeinsamen Projekte, die er auch nicht aus den Augen verlieren will. Eine gefasste Besinnlichkeit, die der Veranstaltung aber keinesfalls schadet, was schon die Stimmung der Gäste zeigt, als diese bald von Füchsen, Löwen und Eseln, von klassischen Fabeltieren also hören, aber auch von Bären, die den Bienen den Honig klauen und statt „blühender Landschaften“ große Haufen hinterlassen.


Ungewöhnlich und besonders reizvoll sind auch beim Grabens „Hundefabeln“, die der zuvor lange in Potsdam und derzeit in Berlin lebende Physiker und Linguistikforscher bereits 2006 veröffentlicht hat. Stehen hier auch oft etwas plakativ allein die Kampfhunde in Opposition zu den vielen anderen „guten“ Hunderassen, so zeichnen sich diese modernen Fabeln doch allesamt durch ihre enorm knappen Formulierungen aus, mit der treffsicher die typischen Schwächen der heutigen politisch-gesellschaftlichen Wirklichkeit widergespiegelt werden.


Nicht schlechter versteht es Manfred Friedrich Kolb mit seinen Limericks das Publikum zu unterhalten. Es klingt leichter als es ist, diese fünfzeiligen Verse innerhalb eines festgelegten Reimschemas so stimmig zu konstruieren, dass sich die meist scherzhafte überraschende Pointe erst in der letzten Zeile entlädt. Genau das aber beherrscht der Potsdamer Sprachkünstler und hat dann auch durchweg alle Lacher auf seiner Seite. Und es ist vor allem die lockere und zunehmend betonungssichere Vortragsweise, die Kolb als einen Routinier dieses Gedichts auszeichnet. Doch auch die gelegentlichen inhaltlichen Wechsel und Variationen ins nachdenklich Ernsthafte oder Zeitgenössische so wie manche Abweichungen, die bis hin zu mehrstrophigen Limericks reichen, zeigen seine Meisterschaft und machen das Zuhören zur großen Freude. Nicht zuletzt auch dank seines regelmäßig aufleuchtenden Selbstspotts: „Ein Dichter las einmal am Stück / nur Limerick für Limerick / Das Zuhörproblem / löste man bequem / Mit einem Strick um sein Genick“. Es sei nur eine Frage der Zeit, bis endlich auch ein Band mit seinen Limericks erscheine, sagt Kolb, der bisher hauptsächlich Lyrik veröffentlicht hat. Allein die Auswahl falle ihm ungemein schwer, was angesichts von inzwischen bald 9000 geschriebenen Limericks verständlich wird.


Erst als etwas plötzlich, nach gut einer Stunde die erste gemeinsame Lesung von Peter beim Graben und Manfred Friedrich Kolb ihr Ende findet, ohne dass inmitten dieses munteren Schlagabtausches von Fabeln und Limericks auch einmal Atem geholt werden konnte, wird der vielleicht einzige Schwachpunkt einer ansonsten sehr gelungenen Veranstaltung offenbar.


Märkische Allgemeine Zeitung, 12.07.2011

Gedenken: Freund und Mentor verloren

Das Literatur-Kollegium ehrt Autor Walter Flegel im Filmmuseum

(Ricarda Nowak)


POTSDAM / INNENSTADT - Bis auf den letzten Platz war der Kinosaal des Filmmuseums gefüllt, in dem am Sonntagvormittag Freunde, Bekannte, Weggefährten des kürzlich mit 76 Jahren verstorbenen Schriftstellers Walter Flegel gedachten. Auf die Leinwand überlebensgroß projiziert war Flegels Konterfei, unter dem Doris Bernewitz, Gabriela Thiere und Natalia Gorbatyuk aus seinen Werken „Ansichten aus Rügen“ und „Mein Orplid“ lasen. Christa Kozik dagegen hatte sich für „kritische Gedichte“ aus den 1980er Jahren entschieden. Trotz der deutlichen Spitzen sei diese Lyrik damals veröffentlicht worden, betonte die Babelsberger Autorin.


So setzte sich der einstige Oberstleutnant der Nationalen Volksarmee, der beileibe nicht als Gegner der DDR galt, in dem „Sassnitz“ betitelten Gedicht mit dem ehedem chronischen Zustand der Innenstädte im Osten auseinander: ihrem traurigen Verfall. „Hafen“ wiederum zeugte von des linientreuen Genossen Fernweh, von der Sehnsucht, das „Land von Zeit zu Zeit zu verlassen“. Seine Prosa-Themen fand Flegel häufig beim Militär: „Wenn die Haubitzen schießen“ (1960) oder „Der Regimentskommandeur“ (1971) künden von seinen Erfahrungen als Berufsoffizier.


Erst nach dem Ende der DDR lernte Peter beim Graben, Vorsitzender des Literatur-Kollegiums Brandenburg, Flegel kennen. Vor eineinhalb Jahrzehnten kam beim Graben aus Hamburg, um in Potsdam seine Doktorarbeit zu schreiben und fand zur offenen Schreibwerkstatt „Litmatsch“ des Literatur-Kollegiums. Flegel habe ihn mit seiner vorurteilslosen Art, seinem „humoristischen Humanismus“ beeindruckt, sagte beim Graben im Filmmuseum. „Ich habe einen Freund, Vertrauten und Mentor verloren.“


Ein „hilfreicher Freund der jungen Literaturszene“ Brandenburgs sei Flegel immer gewesen, sagte Marlies Markgraf-Beise von der Uckermärkischen Literaturgesellschaft. Der mehrfach preisgekrönte Schriftsteller war nach der Wende sowohl im Verband Deutscher Schriftsteller als auch im Literatur-Kollegium aktiv und engagierte sich für den literarischen Nachwuchs. „Sein Tod hat mich zutiefst erschüttert“, sagte Marlies Markgraf-Beise. Doch so traurig sollte die Gedenkveranstaltung nicht enden. Zu ihrem Abschluss wurde Bodo Fürneisens Armee-Satire „Zum Teufel mit Harbolla“ (1988/89) gezeigt, bei der Flegel Teil des Szenaristen-Trios war.

Potsdamer Neueste Nachrichten, 23.05.2011

Ein stiller Held

Stephan Tanneberger las im Café 11-line

(Daniel Flügel)


Die Geschichte ist schnell erzählt. Zwei Ärzte lernen sich auf dem Flug von Bologna nach Dehli kennen, als das Flugzeug plötzlich den Kurs ändert und per Borddurchsage eine Notlandung angekündigt wird. Unter den Passagieren verbreiten sich rasch Angst und Unsicherheit, schon hat man die Bilder vom 11.September 2001 vor Augen. Am Ende aber wird alles gut, das Flugzeug landet sicher, Erleichterung allenthalben, das Leben geht weiter. Für die beiden Ärzte ist das Erlebnis nun der Ausgangspunkt für einen lang ausgreifenden, gedankenreichen und buchstäblich weltverbesserischen Dialog. Da ist also ein Rahmen, doch nicht viel Handlung in „Notlandung“, dem aktuellen, im Scheunen-Verlag erschienenen Buch von Stephan Tanneberger. Die Unterhaltung stehe auch nicht so im Vordergrund, er wolle mehr eine Botschaft vermitteln, sagt der Mediziner und Wissenschaftler zu den knapp 20 Gästen, die sich am Freitagabend im Caffé 11-line zu seiner Lesung eingefunden haben.


Es ist erstaunlich, dass dieser Mann überhaupt noch die Zeit findet, Bücher zu schreiben. Professor Doktor Stephan Tanneberger ist einer der führenden Onkologen in Europa. Nachdem er bis 1990 Oberarzt und Direktor des Zentralinstituts für Krebsforschung der Akademie der Wissenschaften der DDR gewesen war, widmet er sich seither in vielen Ländern der Dritten Welt aktiv der Krebsbekämpfung. Zudem ist er wissenschaftlicher Direktor des italienischen Instituts Associazione Nazionale Tumori (ANT) und Professor für Onkologie an der Universität in Bologna, wo er auch seit langem mit seiner Familie lebt. Doch spricht der mittlerweile 76-Jährige an diesem Abend nicht viel von seinen Posten und ehrbaren Aktivitäten, sondern von seinen Sorgen um die Menschheit, die weiterhin ihren privaten Glücksansprüchen nachjagt, während in vielen Teilen der Welt Not und blankes Elend herrschen. Es würden noch immer Millionenprofite für die Rüstung eingefahren, neue Feindbilder erfunden und Ängste geschürt, und sei es nur vor dem Wirtschaftswachstum Chinas, der Run auf die letzten Ressourcen sei gnadenlos und werde ohne jedwede Verantwortung fortgeführt, vom Klimawandel würde stets nur berichtet wie von der Fußball-WM, und während hier über zu dicke Kinder geklagt wird, verhungerten sie dort täglich.


Die bekannten und unbequemen Wahrheiten also, der Stoff, aus dem die Dialoge der beiden Ärzte in „Notlandung“ überreichlich schöpfen. Tanneberger, im eleganten Anzug, liest mehrere davon vor, hebt bisweilen den Finger und schaut doch gütig in die Runde. Das Flugzeug erklärt er zur Metapher für die Welt, darin die Passagiere nebst Besatzung ein gut funktionierendes Miteinander benötigen, um nicht schlimmstenfalls gemeinsam abzustürzen. Als es notlanden soll und alle bangen, herrscht Eintracht und hinterher Harmonie. Deshalb sieht Tanneberger auch die „Angst als Rezept gegen unsere Ich-Welt“. Die Notlandung dient als Symbol, damit durch sie die Menschheit endlich zur Besinnung kommt.


Bei den Gästen rennt er mit seinen Gedanken offene Türen ein. Mehrmals wird sein Buch gelobt, werden seine Ansichten bestätigt. Die Lesung ist längst in eine Gesprächsrunde übergegangen. Nicht überraschend. Man ist sich einig, dass Ignoranz und Verdrängung die Welt nicht gesunden lässt, dass es kein fremdes Leid gibt und man im Interesse zukünftiger Generationen jetzt und gemeinsam handeln müsse. „Die Menschen, also wir, sind schlecht, aber vielleicht nicht so schlecht, dass wir den Untergang verdient hätten, und vielleicht nicht so dumm, dass wir den nicht vermeiden könnten.“ Worte eines Mediziners, dessen Ethos ganz vom Dienst an den Menschen bestimmt ist. Unermüdlich ist Stephan Tanneberger für sie im Einsatz und gerade seine Bedenken geben ihm den Optimismus, ihnen mit seinem Buch Mut zu machen.

Potsdamer Neueste Nachrichten, 21.02.2011

Poesie der Augenblicke

Lyriklesung im Café 11-line

(Daniel Flügel)


Obwohl sie keinen Hehl daraus machen, merkt man ihnen doch das Lampenfieber nicht an. Als die beiden Potsdamer Autorinnen Waltraud March und Elke Hübener-Lipkau am Freitagabend im „Café 11-Line“ allerlei Eigengedichtetes präsentieren, geschieht das durchaus mit Verve, viel Charme und Geschick, bleiben große Versprecher aus, werden die Stimmen nicht zittrig und schweigt man anschließend auch nicht hilflos vor sich hin. Gut gemeint sind die musikalischen Einlagen, schlecht gemacht nur ihr Einsatz.


„Bedeckt mit Fläumchen / hängt hoch im Bäumchen / das letzte Pfläumchen / dreht seine Däumchen / und träumt sein Träumchen“ Oft ist es wie hier, in Elke Hübener-Lipkaus Gedicht: raureifbedecktes Dörrobst, diese witzige Niedlichkeit einfacher Bilder, die den gut 20 Gästen ein Schmunzeln entlockt. Nicht durchweg, doch regelmäßig besetzt der Humor die Verse, zieht er sich durch die drei Themengebiete, in welche die beiden Damen ihre Lesung gegliedert haben, sich einander abwechselnd, von einer Rezitation zur nächsten. „Einfach so“, wie sie irgendwann anfingen zu schreiben, heißt auch ihr Programm.


Eine dankbare stoffliche Fülle bietet die Poesie des Alltags, wie die Beobachtungen in einer belebten U-Bahn oder auf einer alten Bank am Ufer der Mosel zeigen, der Gegend, wo Waltraud March viele Jahre lebte, bevor sie als Gleichstellungsbeauftragte der Bundespolizei 2008 nach Potsdam zurückgezogen ist und mit dem Schreiben begonnen hat. Im Gegensatz zu ihrer langjährigen Freundin, der bemerkenswert vielseitigen Künstlerin Elke Hübener-Lipkau, die als Malerin wohl folgerichtig auch reichlich Farben, Symbolhaftigkeit und Kunstsinn in ihre Lyrik einfließen lässt, bestechen die Gedichte Waldtraud Marchs durch ihre Klarheit und Besinnlichkeit, was sich im zweiten Thema, dem Jahreslauf, sehr schön zeigt, wenn es etwa in ihrer Ode an die Kindheit heißt: „Fläming, wenn ich Dich betrete / hör ich den Heimatwind / hör ich noch tausendfach Geräusche / die alle meine Kindheit sind!“ Ein stilistischer Unterschied, der von den Gästen als sehr wohltuend empfunden wird, eine gelungene Ergänzung.


Und schließlich in der Liebe, dem dritten Thema, finden sich die Verse der beiden fast, gehen sie motivisch scheinbar ineinander über und lassen eine Harmonie gemeinsamen Augenzwinkerns und freundlich leichter Ironie entstehen. Doch so gebannt und konzentriert die Gäste an diesem Abend der Lyrik lauschen, so irritierend und geradezu unglücklich wirken die kurzen, von CD abgespielten Klavier- und Flötenklänge, welche die Themenwechsel anzeigen sollen, jedoch etwas zu laut sind, stets mittendrin beginnen und ebenso jäh, wie abgeschnitten enden. Freilich – hier wäre wohl das dezente, ausgewogene Zwischenspiel guter Musiker angemessener gewesen oder doch zumindest eine bessere Musikanlage.


Von Herzen aber kommt der Applaus der Gäste nach gut einer Stunde, auch wenn es natürlich kein Leichtes ist, rund einhundert Gedichte auf einmal wirken zu lassen, wie eine Dame aus dem Publikum ehrlich bemerkt. Auch sie ist begeistert von der Lyrik und vor allem der Rezitationslust, wofür sie beiden Autorinnen dankt. Die ihrerseits haben sich kurzerhand in den Kreis der Gäste gesetzt, wo sofort eine lebhaft heitere Unterhaltung einsetzt, Weingläser anstoßen und Nähkästchen geöffnet werden, wo über das Leben und über das Schreiben gesprochen wird wie über einen guten alten Freund.

 

Märkische Allgemeine Zeitung, 24.01.2011

Jubiläum: Leise und poetisch

Filmmuseum ehrte Christa Kozik zum Siebzigsten

(Steffi Pyanoe)

 

Christa Kozik und Rolf Losansky        POTSDAM / INNENSTADT - Wenn das kein Empfang war: ein rappelvoller Saal

                                                         des Filmmuseums und Besucher von jung bis alt querbeet. Dass Kinderfilme nach Büchern von Christa Kožik sich auch Jahrzehnte nach ihrer Entstehung noch ungebrochener Beliebtheit erfreuen, hat dieser Samstagnachmittag bewiesen. Anlässlich des 70. Geburtstags von Christa Kožik, die in der DDR zu den bekanntesten Kinderbuchautoren zählte, war auf Initiative des Brandenburger Literaturkollegiums eine Vorführung von „Moritz in der Litfaßsäule“ ins Programm aufgenommen worden. Der Film nach Kožiks gleichnamigem Roman entstand 1983 unter der Regie von Rolf Losansky, ihrem „Bruder im Geiste“, mit dem sie mehrfach zusammen arbeitete.


Beide waren am Samstag ins Filmmuseum gekommen und freuten sich über die Resonanz der „großen und kleinen Kinder“, wie Kožik sagte. Sie habe gern über und für Kinder geschrieben. „In den Kindern sehe ich die allergrößte Hoffnung, dass die Welt doch noch besser wird.“


Nach der Wende standen die Filme nach ihren Buchvorlagen oft im Schatten neuerer Werke, aber im Herzen der Eltern und Großeltern überlebten sie. Dass diese die Begeisterung an die jetzige Kindergeneration weitergeben, ließ sich am Samstag am Publikum ablesen: Ganze Familien freuten sich, die Geschichte von Moritz, der ein paar Tage mit einer sprechenden Katze und einem weisen Straßenfeger in einer Litfaßsäule verbringt, noch einmal zu sehen. Sie freue sich, dass ihre leisen, poetischen Werke immer noch geschätzt seien, so Kožik. Viele Besucher ließen sich im Anschluss an den Film alte Kinderbuchausgaben signieren.


„Moritz in der Litfaßsäule“ läuft übrigen seit eineinhalb Jahren als erfolgreiches Kindertheaterstück in Parchim. Auch der Film „Der verzauberte Einbrecher“ ist als Theaterstück fertig geschrieben, Kožik hat es dem Hans-Otto-Theater angeboten. Außerdem arbeite sie derzeit an einem neuen Kinderbuch. „Aber den Titel verrate ich noch nicht“.


Foto: Andreas Klaer

Potsdamer Neueste Nachrichten, 20.01.2011

Gestutzte Flügel

Drehbuchautorin Christa Kozik

wird Freitag anlässlich ihres 70. Geburtstages

im Filmmuseum geehrt.


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 Angezogen von innerer Zerrissenheit: Christa Kozik


Märkische Allgemeine Zeitung, 08./09.01.2011

Den Wein des Lebens kosten

(Marko Martin)


Was für ein Leben! Geboren 1924 im Berliner Scheunenviertel und 1938 der mörderisch gewordenen Heimat mit einem der letzten jüdischen Kindertransporte nach England entkommen. Dann nach Kriegsbeginn dort als „feindlicher Ausländer“ interniert und mit einem Gefangenenschiff nach Australien deportiert. Gefahren und Fremdheiten, die sich in atemberaubender Schnelligkeit potenziert haben mussten in der Wahrnehmung dieses nun am anderen Ende der Welt gestrandeten Jungen.


Und doch könnte man ihn als Glückspilz bezeichnen, denn im Gegensatz zu Millionen anderer hat er nicht nur überlebt, sondern aus seinen Erlebnissen Erfahrungen gefiltert, das heißt Bücher gemacht: Wir sprechen vom Schriftsteller Walter Kaufmann, der inzwischen seit vielen Jahren in Kleinmachnow lebt und soeben seine Autobiografie „Im Fluss der Zeit“ vorgelegt hat.


Der Titel ist treffend gewählt, denn dieser Text fließt in der Tat: vom Gestern ins Heute, von Auszügen aus Kaufmanns zahlreichen Büchern hinein in aktuelle Kommentare und Reflexionen. Und es scheint, als seien die drei Punkte, mit denen viele der Passagen enden, tatsächlich einem Leben angemessen, wie man es sich ereignisreicher kaum vorstellen kann: Obstpflücker und Kriegsfreiwilliger in Australien, Schlachthofarbeiter in Melbourne und Seemann ... Als solcher gewerkschaftlich organisiert, besuchte er 1955 zu den damaligen Weltjugendfestspielen Warschau – wo man übrigens, der Autor erwähnt es leider nicht, erst ein Vierteljahrhundert später mit „Solidarnosc“ die erste freie Gewerkschaft zeitweilig zuließ.


Der junge Matrose, bereits damals schriftstellerisch tätig, bereiste danach die Sowjetunion und die DDR, in die er dann 1957 übersiedelte, wobei er seinen australischen Pass freilich sicherheitshalber behielt – eine interessante Parallele zum allzeit vorsichtig-listigen österreichischen Staatsbürger Bertolt Brecht, die Walter Kaufmann jedoch auch nicht zieht.


In der Tat zeichnet dieses lebenspralle Buch eine gewisse gedankliche Unschärfe aus. Zwar findet sich in keiner Zeile provinzieller DDR-Mief, doch die hohe Kunst des partiellen Wegsehens wird an vielen Stellen ausgeübt. Immerhin hatte der integre Herzenssozialist bereits in Australien Artur Koestlers berühmten Roman „Sonnenfinsternis“ gelesen und war von einem seiner Genossen darüber informiert worden, dass Stalin mehr deutsche Kommunisten auf dem Gewissen hat als Hitler. Intellektuelle Konsequenz daraus? Man sucht sie vergeblich. Und kann sich doch der Sympathie für diesen jungen (und dann auch älteren) Mann mit dem buschigen Schnauzbart nicht versagen, den man sich – später auf Schiffen der ostdeutschen Handelsmarine nach Südamerika unterwegs – als eine Art guten Kameraden, sozialkritischen Käpt’n Blaubär, ja als eine Art Jack London der DDR vorstellen muss. Was keineswegs despektierlich gemeint ist, gab es im Literaturleben des SED-Staates ja so viele Genossen-Romanciers nicht, deren Lebensträume derart herzhaft offen waren: „Die Welt bereisen, den Wein des Lebens kosten, Männerfreundschaften und die Zuneigung der Frauen gewinnen – und Bücher schreiben, die viel gelesen werden.“


Wer zu DDR-Zeiten diese Bücher Walter Kaufmanns gelesen hat (der Verfasser dieser Zeilen zählt dazu), wurde nämlich tatsächlich mit einem Hauch von großer weiter Welt beschenkt. Wie packend dieser Autor schrieb, mit wie wenig Sätzen es ihm gelang, eine unverwechselbare Atmosphäre zu schaffen, in der Schilderung australischer Gefängnisse ebenso wie amerikanischer Obdachlosen-Asyle – man bekommt auch jetzt einen Eindruck davon, in eben jenen als Selbstzitat kenntlich gemachten Passagen aus den vorangegangenen Romanen, Reportagen und Erzählungen. Was gewiss von Gewinn ist, mitunter aber auch etwas schade. Denn rasend schnell geht es von Angela Davis zu den Genossen in Israel (KP-Genossen im Ausland scheinen ihm offensichtlich vertrauenswürdiger als die Bonzen daheim), dann fahren wir bereits im Cadillac quer durch Kuba (Castros Straflager finden selbstverständlich keine Erwähnung, da ja die US-Blockade gegeißelt werden muss) oder befinden uns auf dem Flughafen in Tokio.


Doch wäre zwischendurch nicht ein wenig Zeit und Platz gewesen für einige Reflexionen in eigener Sache? Wie nämlich ließ es sich wohl durch die Welt reisen, wenn man lebte und veröffentlichte in jener zugemauerten DDR, die ihre Bürger bereits abknallte, wenn sie nur von Ost- nach Westberlin zu fliehen versuchten? Und wie geht heute ein Überlebender des Holocaust mit der Tatsache um, dass er sich zu jenem deutschen Staat bekannte, der Israel ja nicht nur rhetorisch Feindschaft geschworen hatte, damals beinahe jeden Tag nachzulesen in den Hetzartikeln des „Neuen Deutschland“, sondern auch ganz praktisch tätig war – mit kaschierten NVA-Flugzeugen beim syrischen Angriffskrieg während Yom Kippur 1973 oder bei der Ausbildung von Abu Nidals Judenmördern in abgeschirmten Brandenburger Manövergebieten?


Schließlich: Wie konnte man jahrelang Generalsekretär des ostdeutschen PEN-Clubs sein, dessen Daseinsgrund darin bestand, permanent gegen die eigene Satzung zu verstoßen, will heißen, verfolgten Schriftstellern in der DDR und im Ostblock eben nicht beizustehen, sondern stattdessen die Solidarität zu verweigern?


Trotz dieser notwendigen Fragen – ein bornierter Verklärer der DDR ist der Weitgereiste keineswegs. Obwohl er die aufgrund nachlassenden Käuferinteresses nach der Wende erfolgte Makulierung von DDR-Büchern skandalöserweise eine „neuzeitliche Bücherverbrennung“ nennt, ist er in anderen Passagen durchaus hellsichtig und gewinnt besonders der Stasi-Thematik beklemmende Szenen ab. Mit dem MfS hat sich dieser trotz allem Unabhängige eben doch nicht eingelassen, obwohl man ihn selbst im Freundes-, ja Familienkreis genau dessen verdächtigt hatte.


Ironie der Geschichte: Womöglich waren es ja gerade jene „mangelhaften theoretischen Kenntnisse“, die Kaufmann vor einer Spitzeltätigkeit schützten – und 1959 von der damaligen MfS-Informantin Christa Wolf alias IM „Margarete“ moniert worden waren. Und so, wie Christa Wolf anschließend für 34 Jahre diese Episode vergessen hat, scheint auch Walter Kaufmann vergessen zu haben, sich einige entscheidende Fragen zu stellen. Überaus lesenswert bleibt seine Autobiografie dennoch. Vermutlich ist sie in ihren offensichtlichen Stärken und nicht minder in den ins Auge springenden Schwächen sogar repräsentativer, als es ihr Autor vermutet.


Walter Kaufmann: Im Fluss der Zeit. Auf drei Kontinenten. Dittrich-Verlag, 293 Seiten, 19,80 Euro.