Erhard Scherner
Zuweilen
Mit dem's gelingt, mit dem's gebricht,
den ich beklag, er liebe nicht -
das ist ein anderer.
Der ist nicht Sonne, ist nicht Mond,
der von mir flieht, der mich bewohnt.
Der ist kein anderer.
Zum Tod von Erhard Scherner (1929 bis 2024)
(ein Nachruf von seinem Freund Henry-Martin Klemt)
Erhard Scherner und ich kannten uns seit 1978. Der Germanist, Schriftsteller, Lyriker und Nachdichter kümmerte sich um die Jungen und nicht mehr so Jungen, wenn sie in Schwerin beim Zentralen Poetenseminar der FDJ etwas über das Schreiben und vielleicht auch Leben erfahren wollten.
Damals war ich in seinem Seminar. Später wurde ich sein Seminarsekretär, bevor ich selber Seminare leitete.
Mit Erhard war ich beim Festival Poesie und Frieden 1983 in Rumänien. Bei Erhard saß ich und wir sprachen unter dem strengen Blick seines Papageis über eigene und fremde Texte. Er redete uns die Bibel ein, frohgemut, dass wir auf das Kommunistische Manifest schon selber kämen. Das für die Politische Ökonomie wichtiger ist, während Altes und Neues Testament eher zu unserer Kunst- und Kulturgeschichte gehören. Erhard war nicht umsonst Ministrant gewesen.
Freundlich war er und zäh, er mochte offene Bücher, aber er war kein offenes Buch.
Nach der Friedlichen Restauration wurden die Gelegenheiten des Zusammentreffens seltener. Immerhin im Literaturkollegium Brandenburg, dem er lange angehörte, trafen wir uns, bei Lesungen, oder wir saßen am ersten Mai beim Frankfurter Brückenfest an der Oder mit unseren Büchern.
Dann freuten wir uns, wenn Leute kamen und unsere Bücher kauften, aber auch, wenn sie nicht kamen und wir Zeit zum Reden hatten.
Überseinen Papagei hat er ein Buch geschrieben, in dem er auch ein bisschen von sich erzählt. Geschichten hat er aus China mitgebracht. Gedichte vom alten Du Fu und von Ho Chi Minh, die er gemeinsam mit der Sinologin Helga Scherner ins Deutsche übertrug.
Nach Vietnam wollte er unbedingt noch einmal. Die Kraft reichte nicht mehr aus. Dafür wurden die Gedankensprünge größer, wenn er sich erinnerte an Leute aus dem kleinen Land, den KuBa, dessen Bild er an der Wand hatte, den Fürnberg, den Erhards gestrenger Dienstherr in die DDR retten half, den Professor Hans Mayer aus Leipzig, die Kommilitonin Christa Wolf.
Als mir befohlen war, das Schießen zu lernen, trug Erhard Kröten über die Straße. Das war noch nicht die Regeldamals.
Und dann tauchte er selber auf - als Reservist. Er konnte lächeln, freundschaftlich, verschmitzt, aber auch so, dass es kleine Eiskristalle gab.
Er liebte Chöre, überhaupt Musik.
Wenn er sein Urteil abgab, musste man etwas genauer hinhören, um zu merken, um welche Ecke er kam. Manchmal nannte ich ihn im Stillen den kleinen Chinesen.
In den letzten Monaten, seine Helga war bereits gestorben, schwanden seine Kräfte. Für ein Besucherstündchen blickte, hörte, sprach er hellwach. So war es, als meine Frau und ich ihn zum letzten Mal besuchten.
Jetzt ist er am Ende seines Weges angekommen, der 95Jahre lang war.
DU FU SPRICHT
Es ist nicht wichtig, wann und wo wir waren,
wenn Poesie der Zeit die Runzeln strafft.
Ich hab´s in tausend und dreihundert Jahren
vom fernen China bis zu Euch geschafft.
Um Trost zu spenden, muss der Vers bewahren
das Schwesterpärchen: Schönheit und Vernunft.
´s ging ihnen schlecht, wie heut, in jenen Jahren.
Ich nährte sie, gab ihnen Unterkunft.
Weil ich nicht reich war, sind sie arm geblieben.
Zum Herrschen fehlte ihnen das Talent.
Die meisten Wege gingen sie getrennt.
Es ist, als wär es gestern erst gewesen.
Nun könnt Ihr es in Eurer Sprache lesen,
so wie es Erhard Scherner aufgeschrieben.
HENRY-MARTIN KLEMT
Juni 2016
Gratulantin Rita Klemt zum 95. Geburtstag bei Erhard Scherner
Aufgewachsen ist Erhard Scherner im Scheunenviertel in Berlin. Sein Abitur legte er 1947 ab.
Er arbeitete zunächst als Schlosser und Neulehrer. 1948 trat er in die SED ein. Er studierte von 1948 bis 1953 in Leipzig bei Hans MayerGermanistik und promovierte. Ab 1949 verband ihn eine Freundschaft mit dem Dichter Kurt Barthel (KuBa). 1953 heiratete er die Sinologin und Übersetzerin Helga Mühlpfordt.
Von 1953 bis 1956 arbeitete er als wissenschaftlicher Mitarbeiter im Deutschen Schriftstellerverband. Von 1956 bis 1958 folgte ein gemeinsamer Chinaaufenthalt mit seiner Frau, während dem er als Lektorund Redakteur im Pekinger Verlag für fremdsprachige Literatur tätig war. Ab 1959 bis 1968 arbeitete er als politischer Mitarbeiter im Zentralkomitee der SED unter dem für kulturelle Fragen zuständigen Alfred Kurella.
Als Mitarbeiter der Kulturkommission beim Politbüro forderte er beim Lyrikabend am 11. Dezember 1962 die Anwesenden auf, eigene Gedichte zu lesen, was der Auslöser für die Lyrikwelle in der DDR war.
Nach einer Aspirantur im Institut für Gesellschaftswissenschaften beim ZK der SED ab 1968 wurde er 1972 stellvertretender Chefredakteur der Neuen Deutschen Literatur (NDL). Ab 1975 betreute er dann als Leiter des Alfred-Kurella-Archivs der Akademie der Wissenschaften der DDR den literarischen Nachlass von Alfred Kurella, bevor er ab 1980 freischaffender Schriftsteller wurde und auch Zirkel junger Schreibender in Berlin und bei den Poetenseminaren der FDJ in Schwerin leitete.
Von 1990 bis 1993 wirkte er noch beim Pekinger Fremdsprachenverlag und unternahm Studienreisen u.a. nachTaiwan und Südkorea.
Erhard Scherner hat drei Kinder. Lange lebte die Familie in Schöneiche bei Berlin. Seit 2016 lebt er in Potsdam.
https://de.wikipedia.org/wiki/Erhard_Scherner