Doris Bewernitz (Alle Rechte liegen bei der Autorin) | |
Einsamkeit | Diagnose |
Das Radio läuft hinter geschlossenen Fenstern auf dem Tisch eine Tasse mit kaltem Kaffee
Eine runzlige Hand hält die Stuhllehne tastet die Wände ab greift nach dem Teddy
Ein Mund sucht Worte öffnet sich schließt sich die Sprache ergibt sich dem Ticken der Uhr
Das Brot im Kühlschrank wölbt seine Ränder die Dose mit Suppe widersteht ihrer Öffnung
Die kurzen Schritte über Teppich und Schwelle vermessen den Raum am Ende des Lebens
In wessen Namen an welch einem Tag wer sprach dieses Urteil für welches Verbrechen | Meine Krankheit hat einen Namen das freut die Ärzte sie haben mich durchschaut
Einen Namen der Angst auslöst nicht nur bei mir deshalb werde ich unsichtbar
Verschwinde in einem Zimmer das nach Sauberkeit riecht werde entfernt von Sonne und Wind
Werde gebettet in die Lüge mir sei zu helfen das Laken steril kein Fleck keine Falte
Bösartiges sagen sie geschehe in meinem Körper und müsse bekämpft werden
Und ist doch mein Körper mein Leid meine Liebe mein Haus ich soll mich benehmen
Ihren Kampf soll ich kämpfen soll schweigen und hoffen und schlucken was sie mir verschreiben
Und ist doch mein Leben mein Stolz meine Wut meine Tränen und will doch nur da sein |
Die Antwort | Kaleidoskop |
Sie wird hier nicht mehr herauskommen Jedenfalls nicht auf eigenen Füßen Soviel ist klar das Zimmer misst Sechs mal viereinhalb Schritte
Jeden Morgen sagt sie sich dass ihre Zeit um sei und kann es nicht glauben das soll ein Leben gewesen sein so wenig
Vor dem Fenster eine Kastanie mit grünen Igeln das Essen kommt pünktlich genau wie das Schweigen da kann man sich drauf verlassen
Stundenlang denkt sie über Worte nach immer leerer wird dabei der Kopf ihr Bruder liebte Kastanien wie war noch sein Name
Sie öffnet den Mund als wolle sie etwas sagen aber zu wem das Zimmer ist leer bis auf sie zuerst sterben die Worte
Sie hat Angst vor der Leere im Kopf die Nachtschwester stellt eine Frage sie bräuchte zu lange um zu verstehn was sie meint
Die Frage ist nicht kompliziert zuerst sterben die Worte sie angelt sie fischt nach der Antwort nach Fetzen nach Fischen die ganze Nacht
Morgens ist sie soweit die Antwort zu denken aber da ist das Gesicht schon der Schwester ein neues und überhaupt
Sie wird hier nicht mehr herauskommen Sie öffnet den Mund als wolle sie etwas sagen ihr Leben war reich und voll Liebe das
ist die Antwort | Sein Leben ist ein Kettenkarussell Er hat so viele Träume zu verschenken Er hat so viele Fragen zu bedenken Und alles geht ihm viel zu schnell
Das erste Mädchen das er einst umarmte Im Krieg ihr rätselschwarzes langes Haar War seidenweich und roch so wunderbar Als das Vergessen ihrer sich erbarmte
In seinem Garten wuchsen Mirabellen Und seine Kinder saßen auf dem Schoß Die Sommer waren wie ein Festmahl groß Er hätte Lust den Acker zu bestellen
Den Hund zu kraulen durch den Wald zu gehen Noch einmal all den Duft in sich zu saugen Die Nase sollte doch dafür noch taugen Dass er's nicht darf, das kann er nicht verstehen
So viele Menschen hat er mal geliebt Und fragt sich still wo die geblieben sind Sein Herz ist weit als wäre er ein Kind Und da ist keiner der ihm Antwort gibt
Dass er jetzt alt ist hat sich wohl gezeigt Er hat zu essen und es gibt auch Frauen Die ab und zu mal nach dem rechten schauen Er lächelt scheu zurück und schweigt |
Blau | Erinnerung |
Ich kann keine Zeitung mehr lesen Das machen die Augen nicht mehr Ich kann keine Lieder mehr singen Das ist mir zu schwer
Ich kann keine Worte mehr sagen Sie fallen mir nicht mehr ein Ich kann auch das Fenster nicht öffnen Dafür bin ich inzwischen zu klein
Ich kann mich gar nicht mehr wehren Wenn jemand bös zu mir ist Dann bricht mir das Herz in Stücke Mit allem was drinnen ist
Und das ist so viel Schönes Das seh ich mir gerne an Ich kann mich gut erinnern An irgendwann
Ich hab viel tausend Schätze Die würde ich gern vergeben Der Himmel ist blau vor dem Fenster Blau wie mein Leben | Ich hab doch das Rechte getan Oder nicht Warum kommt dann jede Nacht Dieses Kindergesicht
Als wir die Bettler vertrieben Von unserer Tür Da wusste ich nicht dass das alles Zurückkommt zu mir
Da wusste ich nicht dass das Leben Sobald vorbei Dass achtzig Jahre so schnell Herum sind wie drei
Drei war das Kind stolze Augen Es war so klein Und ich stand am Fenster und tat nichts Als wär ich aus Stein
Ich war nicht viel älter sieben Vielleicht auch acht Als die Eltern die Bettler verjagten Am Anfang der Nacht
Damals da glaubte ich fest Dass wir das Rechte getan Warum sieht das Kind mich dann immer Noch jede Nacht an
Wir hatten doch satt zu essen Ein warmes Bett Ach was gäbe ich heute darum Wenn ich jemanden hätt
Ihm zu sagen wie ich mich schäme Fürs Herz aus Stein Aber ich kann es niemandem sagen Ich bin allein |